Ich will aber gegen Gesetze verstoßen

Veröffentlicht: 30. Juni 2013 in Freiheit, Grundrechte

Laut einer Umfrage des ZDF Politbarometers finden 30% der Deutschen das Datensammeln durch Geheimdienste der USA und GB zur Bekämpfung von Terrorismus gerechtfertigt, 65% finden das nicht. Das ist zu wenig.

Seit einigen Tagen schon rollt einiges an, um den restlichen 30% auch noch klar zu machen, warum diese Datensammlungen und der damit verbundene weltweite Trend zum Überwachungsstaat schlecht ist und die Freiheit in unserer Gesellschaft bedroht. Vielen ist bereits klar, dass der Spruch „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ Unsinn ist, und sie legen ausführlich dar warum das so ist. Es gibt überzeugende Texte, die aufzeigen, warum auch unbescholtene Bürger, die nie jemandem etwas böses wollten, von Überwachung bedroht werden. Ebenfalls wird plastisch, wie in die Ecke gedrängte Staatsapparate ihre Macht missbrauchen, um lästige Personen anzugreifen und zu diskreditieren. Der Blick in die jüngere Geschichte, z.B. auf die Stasi, macht wahrscheinlich besonders die deutsche Gesellschaft noch vergleichweise sensibel für die konkreten Auswirkungen auch auf gesetzestreue Bürger. Es gibt viele Wege darzulegen, wie sich eine überwachte, eine kontrollierte Gesellschaft zum schlechten verändert und ihre Freiheit verliert, wie sich unsere Gedanken verändern, Hemmungen entstehen, wo Unbeschwertheit sein sollte, und wie all das auch den braven Bürger betrifft, der glaubt, dass er nichts zu verbergen und nichts zu befürchten hat. Das reicht mir aber nicht. Ich will auch gegen geltende Gesetze verstoßen. Und ich will damit davon kommen.

Zu allem, was bereits erklärt wurde, muss man sich auch vor Augen halten, dass Recht nicht immer gleich Gerechtigkeit ist. Ein Regelwerk, das sich eine Gesellschaft gibt, eine Sammlung von Gesetzen und Vorschriften, kann nie perfekt sein. Es gibt gleich mehrere verschiedene systemimmanente Probleme damit. Ein Staatsapparat, der mit der Durchsetzung der Gesetze betraut ist, kann deren Einhaltung in der Praxis auch niemals wirklich in Gänze erzwingen. Es gibt immer ein Vollzugsdefizit, einen Bereich, den der Staat nicht erreicht, verborgene Machenschaften, kleine Verstöße, systematischen Rechtsbruch, oder Balanceakte in der rechtlichen Grauzone. Ein Überwachungsstaat strebt danach dieses Treiben restlos aufzudecken, die Beteiligten zu finden und das Verhalten abzustellen. Je mehr Aufwand dort hineingesteckt wird, desto effektiver kann das Regelwerk der Gesellschaft praktisch durchgesetzt werden. Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung unseres Lebens erleichtert dieses Vorhaben. Totalüberwachung war nie so leicht wie heute. Es liegt nun leider in der Natur der Sache, dass die absolute Durchsetzung des Rechts keine absolute Gerechtigkeit ist. Im Gegenteil führt es dazu, dass unverzichtbare Spielräume ausgemerzt werden.

Zum einen ist das Recht immer allgemein und es muss wenigstens halbwegs simpel sein, um überhaupt verstanden und nachvollzogen werden zu können. Es kann niemals der Komplexität des Lebens, des Einzelfalls und seiner näheren Umstände voll gerecht werden. Das beliebte Standardbeispiel ist die rote Fußgängerampel, die einen daran hindert die völlig leere Straße zu überqueren. Die Ampel ist schlicht zu dumm die Verkehrssituation richtig einzuschätzen. Sie ist eben nur ein Stück Technik. Darum laufen wir auch bei Rot über die Straße und wenn wir nicht gerade zwischen fahrenden Autos herumhüpfen und dabei von Kindern beobachtet werden, die das richtige Maß an Vorsicht erst noch lernen müssen, juckt das völlig zurecht auch keine Sau. Eine Ampel mit eingebauter Kamera und automatischer Gesichtserkennung würde einem da irgendwie dann schon ein wenig auf den Keks gehen. Es gibt viele Fälle, in denen bestehende Regeln auch mal nicht ganz so konsequent eingehalten werden. Ich wage z.B. zu behaupten, dass keine einzige Firma in ganz Deutschland alle Gesetze einhält, die für sie gelten. Es gibt einfach zuviele davon und häufig kennt man noch nichtmal alle. Für die Gesellschaft ist das manchmal ein Problem, schließlich haben diese Gesetze ja üblicherweise irgendeinen Grund. Oftmals ist es aber gar nicht so wichtig, dass diese wirklich immer 100% eingehalten werden und das Leben geht auch so weiter. Wie nervig wäre denn die Welt, wenn man wirklich niemals Fünfe gerade sein lassen könnte, weil der Staat einfach immer dahinterkommt und die dafür vorgesehene Strafe verhängt? Ich glaube nicht, dass sie eine bessere wäre.

In einigen Fällen wird auch ganz bewusst und mit voller Absicht gegen bestehende Regeln verstoßen. So gibt es zum Beispiel das Konzept des zivilen Ungehorsams, mit dem starre Regelungen bewusst auf die Probe gestellt werden, wenn sie der gerechten Sache im Wege stehen. Ich denke dabei z.B. an Blockaden von Nazi-Demos, an Schlauchboote, die sich Walfängern in den Weg stellen, oder an Besetzungen leerstehender Häuser. In all diesen Fällen werden einzelne Interessen vom Gesetz geschützt und von anderen die moralische Legitimität dieses Schutzes in Frage gestellt. Besonders interessant ist auch der Fall, in dem der Staat seine eigenen Interessen schützt, z.B. durch die Geheimhaltung eigener Verfehlungen. Organisationen wie Wikileaks versuchen das anonyme Unterlaufen dieser Geheimhaltung zu erleichtern, gegen den Willen des Staates. Ob der zivile Ungehorsam jeweils gerechtfertigt ist, hängt üblicherweise vom konkreten Einzelfall ab. Das Recht beantwortet diese Frage aber meist pauschal und ein voll ausgebauter Überwachungsstaat hat die Macht dieses Recht auch immer durchzusetzen. Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der das Recht die Moral diktiert? In der wir jahrelang am Schreibtisch über Sonderregelungen diskutieren müssen, während Ungerechtigkeit in der Gesellschaft einfach passiert und vom Überwachungsstaat geschützt wird? Ich glaube nicht, dass sie eine bessere wäre.

Gesetze bilden so gut es eben geht die moralischen Ansichten einer Gesellschaft ab. Wir haben demokratische Prozesse, die es ermöglichen eine Veränderung und Entwicklung herbeizuführen. Impulse für Veränderungen gehen dabei praktisch nie von der Politik selbst aus. Diese müssen in der Gesellschaft entstehen, um von dort aus dann in die Parlamente zu drängen und schließlich in Recht umgesetzt zu werden. Das führt dazu, dass Gesetze häufig noch in Kraft sind, während die Gesellschaft sich davon schon zumindest teilweise verabschiedet hat. Als Beispiel käme das Verbot von Homosexualität in Frage. Ein Überwachungsstaat wäre in der Lage homosexuelle Handlungen, oder gar nur den Gedanken daran, zu finden und zu ahnden. Die Furcht vor Strafe würde diese unterdrücken und Betroffenen wäre vermutlich gar nicht erst klar, dass sie kein unmoralischer Sonderfall sind, sondern nur einer von vielen, denen allen Ungerechtigkeit widerfährt. Der gesellschaftliche Wandel hin zu einer Änderung des Rechts würde im Keim erstickt. Es gibt noch weitere Beispiele, bei denen gesellschaftlicher Fortschritt durch das Unterlaufen anachronistischer Gesetze überhaupt erst möglich wurde, zum Beispiel bei der Erkämpfung des Streikrechts oder Kriegsdienstverweigerung. Auch aktuell könnte man argumentieren, dass z.B. der Drogenkonsum in der Gesellschaft oder massenhafte Urheberrechtsverletzungen zu einer Anpassung des Rechts an die gesellschaftlichen Praxis führen sollten. Ob die bestehenden Gesetze wirkliche ihre Legitimation eingebüst haben, ist oftmals auch eine Frage der Perspektive. Wenn jede Entwicklung, die bestehenden Gesetzen zuwiderhandelt, vom Überwachungsstaat frühzeitig erkannt und mit gnadenloser Effizienz verfolgt wird, wird es in Zukunft aber nur noch die eine Perspektive des Status Quo in der Gesellschaft geben können. Ich glaube nicht, dass sie je wieder eine bessere werden würde.

Und darum muss sich eine freie Gesellschaft ein bisschen Spielraum erhalten, einen Bereich, in dem der Staat keine absolute Macht inne hat. Dass es dort auch zu Gesetzesverstößen kommen kann, ist kein Bug, sondern ein Feature. Da das Internet inzwischen mehr und mehr zur Lebensader der Gesellschaft wird, wird der Erhalt eines geschützten Bereichs ein wenig schwierig, wenn staatliche Behörden dort den gesamten verdammten Traffic mitschneiden und auswerten. Ich will das nicht, und wem eine freie Gesellschaft wichtig ist, sollte das auch nicht wollen.

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Kommentare
  1. instabula sagt:

    Ich fände es auch mal interessant, sich anzusehen, was aus Staaten wurde, die Überwachung betrieben haben. Hier klang es ja schon teilweise an, aber z.B. die DDR verhielt sich ja nicht nur durch die Überwachung ihrer Bürger menschenrechtswidrig. Und auch andere Staaten, die versuht haben, mit Überwachung aufzutrumpfen, wie z.B. das Dritte Reich, China, die Soviet-Union (insbesondere unter Stalin), aber auch der Deutsche Bund im 19. Jahrhundert, uvm. zeigen. So sind doch viele, wenn nicht gar alle dieser Staaten in mehr als einer Hinsicht ungerecht gewesen. Wenn solche Mittel zu Zensur und Verfolgung nämlich erst einmal legal sind, kommen sie nicht bloß Staatsfeinden „zu Gute“, sondern bald auch Oppostionellen und bald darauf sorgt man dafür, dass die Opposition gar keine Machtmittel mehr innehält

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