Der 3-Punkte Wohlfühlplan

Veröffentlicht: 28. Oktober 2013 in Basisdemokratie, Piraten

Es ist wohl kein großes Geheimnis, dass die Art und Weise wie die Piratenpartei ihre Bundesparteitage abhält nicht so sonderlich optimal ist. Es handelt sich dabei um unser höchstes Organ und eigentlich sollen wir dort unsere wichtigsten Beschlüsse fassen, ausdefinieren wofür wir stehen, entscheiden wohin es gehen soll und die Fragen beantworten, die nicht weiter offen bleiben können. Die Vorbereitung und der Ablauf der Parteitage können das aber nur sehr eingeschränkt so leisten, wie es eigentlich notwendig wäre.

Im Laufe der Jahre sind verschiedene Ansätze angedacht und ausprobiert worden, um dem Problem irgendwie Herr zu werden. Manches davon ist ganz interessant, manches klappt einfach nicht und manches schafft mehr neue Probleme, als es alte löst. Aus meiner Sicht gibt es 3 vielversprechende Punkte, die besonders in Kombination die wesentlichsten Probleme ernsthaft verbessern würden, rechtlich wohl auch machbar wären und zumindest keine unbeherrschbaren neuen Baustellen aufwerfen würden:

  • Dezentrale Parteitage für niedrigere Beteiligungshürden und mehr Fairness
  • Hohe Antragshürden für bessere inhaltliche Vorbereitung und effizientere Parteitage
  • Urabstimmungen mit Urnen für höhere zeitliche Flexibilität und Handlungsfähigkeit

Die wesentlichen Entscheidungen in der Partei stehen ohnehin unter Parteitagsvorbehalt. Wir werden diesen für unsere Vorstandswahlen, Satzungsänderungen und unsere Programmentwicklung ohnehin brauchen. Wir kommen also nicht drumherum unsere Parteitage wieder zu handlungsfähigen, effizienten und effektiven Versammlungen zu machen. Mit diesen 3 simplen Punkten lässt sich aus meiner Sicht auf absehbare Zeit gut arbeiten.

Dezentrale Parteitage

Das Konzept der dezentralen Parteitage wurde bereits in kleinerem Rahmen an verschiedenen Stellen ausprobiert. Prinzipiell liesen sich mehrere große vernetzte Versammlungen abhalten, oder eine Hauptversammlung und kleinere Satelliten. Die Probleme bestehen in erster Linie aus der Abhängigkeit von der Technik, der Koordinierung verschiedener Teil-Versammlungsleitungen und praktische Schwierigkeiten wie z.B. bei offenen Auszählungen von Abstimmungen.

Ich denke die Probleme wachsen mit der Anzahl der verbundenen Versammlungen. Sinnvoll wäre aus meiner Sicht mit 2 Versammlungen anzufangen, eine im Norden und eine im Süden. Wenn die ganze Sache ein Erfolg wird, kann man sie auf 4 Versammlungen in allen Himmelsrichtungen ausdehnen. Mehr würde ich nicht machen, da die Koordination dann vermutlich irgendwann unbeherrschbar wird.

Aktuell hängt die regionale Zusammensetzung der Parteitage recht stark vom Versammlungsort ab. Das ist in jedem Fall nicht so ganz optimal. Begegnet wird dem aktuell durch Rotation. Der Vorteil für eine bestimmte Region ist zwar da, die Region ist aber bei jedem Parteitag eine andere. Bei programmatischen Entscheidungen halte ich dieses Problem eher für überschätzt, da die verschiedenen Landesverbände nicht annähernd so unterschiedlich ticken, wie manchmal getan wird. Bei Vorstandswahlen sehe ich den Effekt schon etwas stärker, da Kandidaten häufig regional schon unterschiedlich stark bekannt und oft eben auch unterschiedlich beliebt sind.

Aus meiner Sicht überwiegen daher bei Vorstandswahlen die Vorteile dezentraler Parteitage, bei Programmparteitagen überwiegen die praktischen Probleme. Dementsprechend würde ich Vorstandswahlen dezentral abhalten und Programmparteitage weiter rotieren lassen. Wahlparteitage bestehen ohnehin hauptsächlich aus Vorstellungen, Befragungen und schriftlichen Wahlen. Das lässt sich alles ganz gut auch fernmündlich abwickeln. Damit hätte dann auch der Ort weniger Einfluss auf die Vorstandszusammensetzung. Bei Programmparteitagen könnten die Abstimmungen einfacher offen durchgeführt werden, wenn man eine Versammlung hat. Debatten sind auf einer Veranstaltung vermutlich auch einfacher durchführbar. Das Programm hat ohnehin einen langfristigeren Charakter als Vorstandswahlen, die nur bis zum nächsten Jahr relevant sind. Durch die Rotation können alle Regionen ihren Einfluss auf das Parteiprogramm gleichermaßen geltend machen. Außerdem bliebe ca. einmal im Jahr das große „Klassentreffen“ der Gesamtpartei erhalten. Ich denke die soziale Komponente der Bundesparteitage ist nicht zu unterschätzen.

Hohe Antragshürden

Eines der größten Probleme unserer Parteitage ist die inhaltliche Vorbereitung. Niemand kann sich ernsthaft mit 800 Seiten Antragsbuch auseinandersetzen. Was davon tatsächlich auf dem Parteitag behandelt wird, ist schwer vorherzusagen. Das Resultat sind Abstimmungen auf gut Glück, nach Gefühl oder nach Überschrift. Die Debatten auf dem Parteitag können zwar manchmal noch das Schlimmste verhindern, aber unmöglich die Versäumnisse des halben Jahres zuvor in zwei Tagen wieder aufholen.

Ich würde hier gerne die Antragsbücher von sinnlosem Grundrauschen befreien und das Prinzip bei der Parteitagsvorbereitung umkehren. Momentan erlauben wir jedem, der es schafft 4 Leute zu finden, die seinen Antrag mit einreichen, tausende andere Piraten mit beliebigen Anliegen zu belästigen. Die Regelung, dass es überhaupt 5 Antragsteller braucht, war hier bereits ein Schritt in die richtige Richtung und erspart uns zumindest die allergrößten Absurditäten. Das reicht mir aber noch nicht. Wir sammeln immernoch unzählige Anträge, rennen dann in nur wenigen Wochen der Vorbereitung auf diese Anträge hinterher und ärgern uns, dass das in der Breite der Partei nichtmal im Ansatz funktioniert. Ich würde gerne Anträge nur noch zulassen, wenn sie eine relevante Anzahl an Unterstützern vorweisen können. Dadurch müssen wir uns zuerst um die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anträgen kümmern und nur wo das einigermaßen gelingt, kommt der Antrag überhaupt mit ins Antragsbuch. Alles was eigentlich irrelevant ist oder kaum irgendjemand gut findet, bleibt der breiten Masse der Mitglieder erspart.

Ich würde an dieser Stelle zunächst eine Hürde von 100 Unterstützern zum Zeitpunkt der Antragsfrist für jeden Antrag ansetzen. Wenn das Verfahren etabliert ist, kann diese Zahl eventuell noch weiter erhöht werden. Für jeden Antrag, der behandelt werden soll, sind alle, die diesen Antrag haben möchten, gemeinsam dazu aufgerufen die notwendigen Unterstützer zusammenzusammeln. Jeder einzelne wird zum Multiplikator für als gut befundene Anträge. Es gäbe dann also in den Wochen vor der Antragsfrist einen Pool an Anträgen unterschiedlicher Qualität. Jeder, der daraus einen guten Antrag entdeckt ist dazu aufgerufen andere davon zu überzeugen, diesen zu unterstützen. Auf diese Weise findet eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Anträgen bereits vor dem Parteitag statt. Anträge, die kaum Resonanz hervorrufen, werden bereits hier ausgesiebt. Übrig bleibt nur was entweder große Relevanz hat oder sich großer Beliebtheit erfreut. Die Hürde müsste dabei so hoch sein, dass es nicht ausreicht einfach ein paar Kumpels zu bitten ihre drei Kreuze darunter zu machen. Es soll tatsächlich anstrengend sein, einen Antrag über die Hürde zu bekommen. Der Weg ist hier sozusagen das Ziel, denn nur was gut genug ist diesen Prozess erfolgreich zu durchlaufen schafft es auch ins Antragsbuch. Dieses Antragsbuch wäre dann erheblich kürzer und frei von Anträgen, die ohnehin chancenlos wären. Die letzten vier Wochen vor dem Parteitag blieben dann dafür sich mit einer beherrschbaren Menge qualitativer Anträge zu beschäftigen, die auch tatsächlich realistische Chancen auf eine Behandlung haben. Wenn das ganze gut klappt, könnte man sogar die Gesamtunterstützerzahl gleich dazu nehmen die Reihenfolge der Behandlung festzulegen. In diesem Fall wüssten alle bereits sehr früh welche Anträge auf jeden Fall behandelt werden. Jeder einzelne, der seinen Lieblingsantrag weiter vorne sehen möchte, hätte einen Anreiz diesen noch mehr anderen Leuten irgendwie schmackhaft zu machen.

Eine Antragssammlung wäre prinzipiell jederzeit und online möglich. Anträge, die nicht so sehr mainstream sind, könnten sich ihre notwendigen Unterstützer auch über einen längeren Zeitraum ansammeln. Wenn es beim ersten Parteitag nicht reicht, kommen die Unterstützer vielleicht in der Zeit bis zum nächsten Parteitag doch noch zusammen. Auf jeden Fall könnte man immer sehen, welche Anträge gerade in der Partei hoch im Kurs stehen, egal ob der nächste Parteitag unmittelbar bevorsteht, oder erst in einem halben Jahr ist.

Sicherheitstechnisch liese sich diese Vorauswahl auch eher unbedenklich online durchführen. Das unberechtigte Entfernen von Unterstützern wäre kaum möglich, da die Zahl prinzipbedingt immer nur steigen kann und ein Absinken immer auf eine Manipulation hindeuten würde. Ein unberechtigtes Hinzufügen von Unterstützern wäre zwar grundsätzlich denkbar, hätte (im Gegensatz zu einer Online-Abstimmung) aber schlimmstenfalls den Effekt, dass ein Antrag unberechtigterweise auf den Parteitag gelangt und dort mangels echter Unterstützung dann eben abgelehnt wird. Von der Software her würde ich mir das ähnlich vorstellen, wie das e-Petitionssystem des Bundestags.

Urabstimmungen mit Urnen

Eine weitere Kritik an Parteitagen ist immer mal wieder, dass diese nur rund alle 6 Monate stattfinden und wir dazwischen gar keine (basisdemokratischen) Entscheidungen treffen können. Diese bleiben dann oftmals an Vorständen oder Abgeordneten hängen.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass auch dieses Problem schlicht überschätzt wird. Eine schnelle Entscheidung von parteiweiter Relevanz fällt nüchtern betrachtet eher selten an. Bei politischen Fragestellungen sollte dabei aus meiner Sicht ohnehin auch beachtet werden, ob es denn überhaupt wünschenswert ist schnelle Entscheidungen zu treffen. Wenn wir ein Thema so sehr verschlafen haben, dass wir im Tagesgeschäft davon überrollt werden, sollten wir uns vielleicht erstmal gründlich mit der Fragestellung auseinandersetzen anstatt nach einer Woche bereits mit der erstbesten Position, die uns gerade eingefallen ist, nach vorne zu preschen. Also wenn wir nicht gerade einen Koalitionsvertrag absegnen müssen oder soetwas, sehe ich den Bedarf an schnellen Entscheidungen eher selten. In diesem Falle wären dann Urabstimmungen per Urne meine erste Wahl.

Mit BEO haben wir soetwas in der Richtung auf dem letzten Parteitag bereits beschlossen. Dieses Verfahren erlaubt auch Onlineabstimmungen, was aus meiner Sicht aber nach wie vor aus Sicherheitsgründen fahrlässig ist. Urnenabstimmungen können wesentlich sicherer durchgeführt werden, brauchen realistischerweise aber noch eine längere Zeit an Vorbereitung, bis sie flächendeckend auch praktisch umgesetzt werden können. Da unsere nächsten Koalitionsverhandlungen aber vermutlich noch eine Weile hin sind, sehe ich das aber nicht so tragisch. :)

Wohlfühlen

Zusammengefasst bringen diese Lösungen aus meiner Sicht folgende Gründe sich wieder mehr mit den Parteitagen wohl zu fühlen:

  • Der Reiseaufwand und damit die Teilnahmehürden für die Mitglieder nimmt zumindest bei Vorstandswahlen ab
  • Vorstandswahlen werden weniger vom Ort des Parteitags beeinflusst
  • Damit ist auch weiterhin kein Regionalproporz über ein Delegiertensystem notwendig
  • Die überregionale Vernetzung auf Parteitagen bleibt ca. 1 mal im Jahr erhalten
  • Der Einfluss auf die programmatische Entwicklung ist durch die Rotation zumindest alle paar Jahre auch mit kurzen Fahrtwegen möglich
  • Anträge müssen zwangsweise relativ früh für alle einsehbar vorliegen
  • Es findet eine deutliche breitere und längere Befassung mit den vorliegenden Anträgen statt
  • Es wird schon relativ früh sichtbar welche Anträge es auf den Parteitag schaffen werden
  • Die Tagesordnung kann bereits 4 Wochen vor dem Parteitag defakto feststehen
  • Die Antragsbücher haben eine beherrschbare Länge und weniger Inhalt der eh nicht behandelt wird
  • Der Parteitag verschwendet weniger Zeit mit Anträgen, die eh nicht angenommen werden
  • Es sind keine unsicheren Online-Abstimmungen notwendig
  • Wenn der Bedarf wirklich da ist können Entscheidungen zwischen Parteitagen per Urabstimmung getroffen werden

Damit sind sicher nicht alle Probleme gelöst, die in unserer Parteistruktur angelegt sind, aber aus meiner Sicht die wesentlichsten durchaus. Wir würden uns wieder mehr und tiefer mit Politik befassen können, eine faire und funktionierende Basisdemokratie erhalten, Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz einhalten und uns im Rahmen des praktisch Umsetzbaren und des Parteiengesetzes bewegen.

Die ersten Schritte in diese Richtung sind bereits getan und müssen eigentlich nur noch weitergegangen werden. Dezentrale Parteitage müssen weiter auf kleineren Ebenen ausprobiert und optimiert werden, Antragshürden können aus meiner Sicht etabliert werden, wenn wir mit dem Thema Europawahl durch sind und an Urabstimmungen wird im Rahmen von BEO ohnehin gearbeitet. Die notwendigen Freiräume dafür werden wir auf Bundesebene nach der Europawahl haben. Ich finde wir sollten sie nutzen.

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Kommentare
  1. Michael Hartung sagt:

    Sobald Du

    Ø Momentan erlauben wir jedem, der es schafft 4 Leute zu finden, die seinen Antrag mit einreichen, tausende andere Piraten mit beliebigen Anliegen zu belästigen. Die Regelung, dass es überhaupt 5 Antragsteller braucht, war hier bereits ein Schritt in die richtige Richtung und erspart uns zumindest die allergrößten Absurditäten.

    schreibst, bist Du der Meinung, die Arbeit all der anderen beurteilen zu können. Vielleicht liegt gerade in dem, was Du als Belästigung ansiehst der Kern für den nächsten Knaller.

    Michael Hartung

  2. StreetDogg sagt:

    Nee, ich schreibe, dass wir die Arbeit bisher erst auf dem Parteitag beurteilen, obwohl wir sie auch vorher schon grob beurteilen könnten. Das sollten wir, denke ich tun. Die Beurteilung würde auch nicht durch eine einzelne Person stattfinden, sondern durch alle, die mitmachen. Wenn ich etwas als Belästigung ansehe, 100 andere aber nicht, ist doch alles tutti.

  3. […] ausdrücklich erst nach dem BPT14.1 in Bochum greifen. Ich habe die Idee der Unterstützer bereits hier unter “Hohe Antragshürden” ausführlich dargelegt, aber auch schon davor und schon vor längerem darüber […]

  4. […] bis dahin die SMV Diskussion überlebt haben wird. Ausserdem verweise ich an dieser Stelle noch auf Streetdog’s Blog, dessen Betrachtung ich sehr treffend […]

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