Vor über drei Monaten hatte ich mal versucht mir selbst darüber klar zu werden, was es war, das diese schwerste Krise der Piratenpartei seit ihrem bestehen ausgelöst hat. Die Lage war unübersichtlich, die Entwicklungen schnell und eine Menge Leute verstanden die Welt nicht mehr. Es war auch nicht einfach die vielen kleinen und großen Eskalationsstufen zusammenzutragen und sicher ist es mir auch nicht vollständig gelungen. Ich denke trotzdem, dass man mit Hilfe der Tabelle aus meinem letzten Artikel zumindest ein Gefühl dafür bekommen kann, was denn da plötzlich passiert ist und warum es sich nicht um ein „gewöhnliches Gate“ handelt, wie wir so viele schon vorher erlebt hatten.
Seit ich diesen Text und diese Tabelle veröffentlich habe, sind die Ereignisse in dieser Partei nicht still gestanden, sondern im Gegenteil sogar drastisch weiter eskaliert. Noch im März traten drei Bundesvorstände zurück, um einen außerordentlichen Bundesparteitag herbeizuführen. Dieser steht jetzt unmittelbar bevor. Die Debatte um diese ganze Krise ist seit dem aber nicht einfacher geworden. Die Polarisierung in den letzten Monaten scheint mir dazu geführt zu haben, dass sich verschiedene Lager gebildet haben, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüber stehen. In den letzten Monaten scheint sich der Eindruck durchzusetzen, dass sich die Krise zu einem Flügelstreit entwickelt hat und es letztlich zum Machtkampf zwischen 2 Teilen der Piratenpartei kommt. Ich finde das drängt die Auslöser der Krise und damit auch die dahinterstehenden Ursachen auf unglückliche Weise in den Hintergrund und führt zu neuen, zusätzlichen Konflikten, die aber gar nicht in einer Lösung der Krise enden können. Genauso wird eine „Versöhnung“ zwischen den Flügeln, wie sie manche Bundesvorstandskandidaten anstreben, den Kern des Problems überhaupt nicht berühren, sondern sich nur an den Spätfolgen davon abarbeiten. Wenn wir wieder in die Spur kommen wollen, werden wir diese Versöhnung brauchen, aber ohne das Kernproblem anzugehen, werden wir bestenfalls brüchige Waffenstillstände erreichen. Ein gemeinsames „wir“ kann so nicht mehr entstehen und wie sich das auf den Erfolg unserer Partei auswirkt, haben wir bei der Europawahl gesehen.
Flügelstreit ist eigentlich immer. Spätestens seit wir uns 2010 in Chemnitz aufgemacht haben unsere Partei zu entwickeln, wird auch debattiert wie weit das gehen soll, in welche Richtung, wie schnell und so weiter. Das ist auch ganz normal und kann zwar auch ruppig werden, löst aber keine solche Krisen aus. Die heftigsten Auseinadersetzungen gab es in dieser Partei nicht, als wir unsere politische Richtung ausdefiniert haben, sondern da, wo wir unsere Kanten geschliffen haben. Programmentwicklung ist leicht: Antrag, Mehrheit, fertig. Was nicht so leicht ist, ist mit Mitgliedern umzugehen, die in unserem Piratenpluralismus keinen Platz haben können. So kann man zum Beispiel beschließen, dass die Meinungsfreiheit kein Vorwand sein kann den Holocaust zu leugnen oder zu relativieren, aber um gegen Personen vorzugehen, die trotzdem daran rütteln möchten, braucht man die volle Bereitschaft der Basis, der zuständigen Vorstände und dem direkten Umfeld der entsprechenden Personen es nicht bei solchen Beschlüssen zu belassen, sondern diesen Leuten auch die Tür zu zeigen. Wir hatten zu diesem und auch anderen Themen lange und zähe Auseinandersetzungen. Dort ging es darum, ob wir als Partei eine neutrale Plattform sein wollen, die alles toleriert, was wir nicht mehr tolerieren wollen, wann Äußerungen im privaten Umfeld hingenommen werden können bzw. wer zwangsläufig Repräsentant unserer Partei ist, usw., usf.. Wer schon ein paar Jahre dabei ist, müsste das eigentlich kennen.
Pluralismus ist etwas schönes und ich glaube viele von uns mögen gerade das Bunte an der Piratenpartei, ihre Vielfalt. Trotzdem wissen wir alle, dass wir als Partei nicht beliebig sein können, dass es Grenzen gibt und das manche Dinge gar nicht mehr gehen. Nur was da alles dazugehört, da gibt es offensichtlich erhebliche Meinungsverschiedenheiten und das halte ich für den eigentlich Kern des Problems. Spätestens mit den Ereignissen seit der Weihnachtszeit letzten Jahres ist etwas in dieser Partei sichtbar geworden, das viele für nicht mehr hinnehmbar halten, manche aber wohl für ganz normal. Genau in diesem Punkt müssen Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden (oder auch nicht durchgesetzt, je nachdem was dabei rauskommt). Diese Frage lässt sich nicht wegflauschen. Sie ist der Nährboden der Eskalation, die uns gerade an den Rand des Abgrunds führt.
Die Auseinandersetzung darum spaltet nun leider gerade unsere Partei. Oberflächlich betrachtet kommt es zu einem Richtungsstreit, einer Außeinandersetzung zwischen zwei Flügeln. Unsere Probleme liegen aber an anderen Stellen.
Ich versuche hier zur Verdeutlichung mal unsere „Flügel“ aufzumalen, wie ich die Situation einschätze, die durch diese Krise entstanden ist. Die Größenverhältnisse kann ich dabei letztlich nur raten, bzw. meinen subjektiven Eindruck wiedergeben. Außerdem ist die Lage sicherlich noch komplexer, aber zur Verdeutlichung reicht es.
Die letzten Monate haben für mich eine Reihe von Einstellungen und Meinungen offenbart, die ich innerhalb der Piratenpartei nicht für tragbar halte. Es geht um Einstellungen zu Gewalteinsatz in der Politik, zur Demokratie an sich, zu rechtstaatlichen Grundsätzen und weiteren Aspekten. Es sind durchgängig Einstellungen, die aus dem linksradikalen politischen Spektrum bereits lange bekannt sind. Auch bewusste Provokationen aus dieser Richtung haben wir in den letzten Monaten erlebt, ebenso wie aggressive Attacken gegen politische Gegner. Aus meiner Sicht können wir das so nicht akzeptieren und müssen klarstellen, dass das kein Teil des Piratenspektrums ist.
Leider sehen das einige Leute hier anders und haben geradezu eine Art „Linke Wagenburg“ um diese Personen herum gezogen, die sich dem politischen Druck, der hier entstanden ist, entgegenstellt. Dort sehe ich das Epizentrum der Krise. Dass aus dieser Konstellation eine heftige Eskalation entsteht, verwundert mich kein Stück.
Dazu kommen die altbekannten Klassiker. Leute, die abwiegeln, ignorieren oder verharmlosen. Nach jahrelanger Debatte darum wird ernsthaft wieder argumentiert, dass Aktionen und Äußerungen ja „privat“ getätigt worden wären und die Leute ja ansonsten voll okay sind und so weiter. So haben wir plötzlich längst überwunden geglaubte Argumentationsmuster wieder an der Backe und müssen sie wohl oder übel erneut überwinden. Die Leute hier machen sich so leider ohne Not zu einem Teil des Problems.
Bei Licht betrachtet muss einem allerdings klar werden, dass dieses Problemfeld nicht das einzige ist, was den Fortbestand der Piratenpartei ernsthaft gefährdet. „Der Charakter offenbart sich im Konflikt.“ lief neulich durch meine Timeline und das ist vollkommen korrekt. Die traurige Erkenntnis dieses Konflikts ist, dass bei einigen Mitgliedern da eine Menge im Argen liegt. Auch das kann nicht so bleiben. Eine Partei, deren Mitglieder wenn’s brenzlig wird die Zivilisationsdecke im Staub zertreten und wie reißende Wölfe aufeinander losgehen ist nicht politikfähig. Wenn wir aber wieder politikfähig werden wollen, müssen wir uns um diese Personen ebenso kümmern. Und wenn wir sie alle einzeln hinfort PAVen müssen… Kommt mal mit eurem Leben klar, ey, aber bitte woanders, nicht in dieser Partei! Das selbe gilt auch für hyperventilierende Pseudojuristen, die selbst nach dem 5. Gerichtsurteil noch nicht realisiert haben, dass sie sich in einen Wahn hinein gesteigert haben. Klarkommen oder Leine ziehen. Wir sind eine Partei und kein Sammelbecken für überschüssigen Hass.
Wozu diese Hasserei führt, ist dass sich Fronten verhärten, wo keine sein sollten, und ein Keil zwischen Gruppen getrieben wird, die eigentlich gar keinen Grund haben sich zu bekämpfen. Dieser Spalt zwischen angeblichen „Progressiven“ und „Linksliberalen“ bzw. „Sozialliberalen“ Piraten gehört da nicht hin. Stattdessen gehören dort im oberen Bereich der Grafik die Kanten abgeschliffen, damit der Rest endlich wieder vernünftig und gemeinsam arbeiten kann. Wenn das ausbleibt, wird sich der Spalt so lange ausdehnen, bis die unteren Bereiche der Grafik aus der Partei herausgeschoben sind. Ein Prozess, der leider jetzt bereits viel zu weit fortgeschritten ist.